1 Jahr Tansania (3/3)

Vor gut einem Jahr sind wir in Tansania voller Tatendrang, Elan und Naivität angekommen. Wir dachten, mit der afrikanischen Mentalität bereits vertraut zu sein, doch wir waren blutige Anfänger und sind es in gewisser Hinsicht bis heute noch. In dieser Blogserie blicken wir zurück und greifen ein paar Themen auf, die uns in diesem Jahr besonders geprägt haben. Hier gehts zu Teil 1 und 2.

Dieser dritte und letzte Beitrag ist eigentlich der wichtigste – er handelt davon, was wir alles gelernt haben in den letzten 12 Monaten und warum wir das Leben hier nicht mehr missen wollen.

Ein für uns allgegenwärtiges Thema ist die Zeit. Ein guter Freund in Senegal sagte uns einmal: „Die Europäer haben die Uhr erfunden, wir Afrikaner hingegen haben die Zeit“. Ein sehr wahrer Spruch. Während wir immer das Gefühl haben, der Zeit nicht hinterher zu kommen, leben Tansanier im Moment und scheinen nie gestresst zu sein. Wir verplanen unseren Tag von Früh bis Spät und sind abends frustriert, wenn wir nicht alles geschafft haben. Und wehe dem, der dazwischen funkt und unseren Plan durcheinander bringt. Unerwartete Gäste? Schon fast ein Horrorszenario für uns Mitteleuropäer.

Gemeinsames Kochen mit Mama Gaby. Links: Loshoro, ein traditionelles Meru Gericht; Rechts: „Zogene Küechla“ ein bayrisches Rezept von Peters Oma.

Wir lernen von unseren tansanischen Freunden ein neues Zeitverständnis. Es dauert hier sowieso alles dreimal so lang, als wir es uns von Deutschland her gewöhnt sind – warum also eilen und stressen? Es lässt die Beamten oder Ärzte im Krankenhaus auch nicht schneller arbeiten. Wir lernen, die Umstände zu akzeptieren. Wir lernen, flexibler zu sein und Unvorhergesehenem anzunehmen. Darüber hinaus erkennen wir, dass wir auch nicht immer alles schnell, schnell erledigen müssen. Schnell noch die Wäsche reinholen, Abendessen vorbereiten und gleichzeitig noch Emails schreiben. Warum nicht in Ruhe eins nach dem andern, wie es unsere Erzieherinnen tun? Ich bin mittlerweile überzeugt, dass sie im Endeffekt auch nicht viel langsamer sind, jedoch aber entspannter und ruhiger.

Ochsen
Beim Nachbarn: Idyllisches Pflügen mit Ochsen

In Deutschland haben wir das Gefühl, wir hätten stets unser komplettes Leben und alles andere unter Kontrolle. Was in meinen Augen so nicht richtig ist. Das Schicksal kann jederzeit und überall zuschlagen. Da schützen keine Versicherungen und keine Vorsichtsmaßnahmen. Jedem Tansanier ist dies absolut bewusst. Keiner lebt in der Illusion, er habe alles im Griff. Der Tod ist allgegenwärtig. Natürlich wird getrauert, wenn ein geliebtes Familienmitglied verstirbt, doch es wird akzeptiert, dass der Tod zum Leben gehört wie auch die Geburt.

Wir sind dadurch wieder näher am „wahren Leben“ angekommen. Wir erkennen wieder, um was es wirklich geht und was pures Leben bedeutet, mit all seinen Sonnen- und Schattenseiten.

Autobrücke
Kranwagen stürzte beim Brückenbau ab – Tansanier haben Zeit zum Staunen

Häufig wird auch gesagt, je weniger man besitzt, desto glücklicher ist man. Wir können dies nur bestätigen. In Armut lebende Menschen planen nicht in die Zukunft, sie leben von der Hand in den Mund und sind zufrieden mit ihrer Situation – denn sie wissen, sehr wahrscheinlich wird sich sowieso nichts dran ändern. Warum also unzufrieden sein?

Wir hingegen, wir leben in einem „großen“ Haus, haben ein Auto und kaufen wann immer wir wollen frisches Gemüse und Obst ein. Wenn die Tomaten mal etwas teurer sind, nehmen wir das zur Kenntnis, doch wir kaufen deshalb nicht weniger. Wir kennen keinen wirklichen Hunger, keine Kälte und haben so viele Möglichkeiten, dass wir sogar von Deutschland nach Tansania auswandern konnten. Und doch, hadern wir. Hinterfragen unsere Entscheidungen, zweifeln an uns und haben Existenzängste. Doch was ändert all dies an der jetzigen Situation? Wir können weder Entscheidungen rückgängig machen, noch in die Zukunft blicken. Alles was uns bleibt ist der Augenblick. Um im Moment präsent zu sein, besuchen wir Europäer Achtsamkeitsseminare und Meditationskurse. Afrikaner sind es einfach, ohne Anstrengung. Alles andere ist Blödsinn und doch fällt es uns so unglaublich schwer. Zum Glück haben wir hier in Ngyani die authentisten Lehrer, die uns tagtäglich ans Leben im Hier und Jetzt erinnern.

Gastfreundschaft
Herzliche Gastfreundschaft trotz großer Armut

Zusammenfassend können wir also sagen, dass wir gerade einen großen Lernprozess durchmachen und viele eingefahrene Muster von Zuhause hinterfragen. Wir merken, wie furchtbar schwer es ist, solche Verhaltensweisen zu verändern. Wie anstrengend muss es demnach für unsere Angestellten sein, die bei uns mit völlig neuen Weltanschauungen konforntiert werden? Es verwundert nicht, dass diese Veränderungen Zeit braucht. Unsere tansanischen Freunde haben sie, wir hoffentlich auch.

Das vergangene Jahr hat uns tief geprägt und viel gelehrt auf vielfältige Weise. Darin sehen wir auch den Sinn unseres Aufenthalts: Wir wollen andere und auch uns selbst besser verstehen, Neues lernen und daran wachsen.

Neue_Kleider
Unsere sechs Engel

Dies hilft uns auch im Alltag im Kinderheim. Wir lernen an den Aufgaben und geben  unser Bestes, dass die Kinder unbeschwert aufwachsen können. Es berührt uns jeden Tag wieder aufs Neue zu sehen, wie die Kinder sich entwickeln. Insbesondere mit dem Wissen, woher sie kommen. Wir sind also überaus dankbar für die Zeit, die wir hier verbringen dürfen und für die Menschen, die wir treffen. Wir freuen uns aufs Jahr 2 und werden auch in den nächsten Monaten unsere Erfahrungen mit euch teilen.

6 Gedanken zu “1 Jahr Tansania (3/3)

  1. Oh mei, da hät i ja so viel zu schreiben und ich kann das alles nur bestätigen. Ich hatte auch grad eine unfassbare Erkenntnis erfahren. Da war eine junge Lehrerin auf einer Primary School facebook page und fragte nach einem Rat wie man net großen Klasse lesen beibringen kann. Jemand fragte wieviele Kinder und welche Materialien. 268 Kinder in der Klasse und noch alle haben was zum schreiben. Als ich fragte was sie denn am dringendsten bräuchte, hatte ich erwarted dass sie ne lange Liste schickt aber sie sagte nur schreibhefte und stifte. Wenn man denkt wie wir hier in Europa leben und immer noch unzufriedener werden . macht weiter so und danke fürs mitteilen.

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    1. Liebe Michaela,
      danke für deine Nachricht. Ja, es erstaunt uns Europäer immer wieder, wie ein Leben mit so wenig funktionieren kann. Wie wir von uns selbst wissen, ist alles relativ. Haben wir mal weniger, freuen wir uns schon über Kleinigkeiten. Wächst unser Besitz, wachsen analog auch unsere Ansprüche. Ich glaube, das ist eine menschliche Eigenschaft, die schwer zu verändern ist. Umso besser tut es, das wahre „einfache Leben“ in einem Land wie z.B. Tansanie immer wieder aufs Neue wahrzunehmen und zu beobachten.
      Liebe Grüße,
      Yvonne

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  2. Liebe Yvonne, lieber Peter, immer wieder einfach schön, von Euch zu lesen. Und ich bin dankbar dafür, dass ich einen Hauch des afrikanischen Lebensgefühls erfahren durfte und jetzt im Alltag im Herzen trage. Viel Freude an Eurer Aufgabe und Euren 6 Engelchen!
    Heike

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    1. Liebe Heike,
      schön, dass dein Afrikaaufenthalt noch nachschwingt und du die Erfahrungen in deinem Herzen trägst. Jede Reise bereichert uns – je fremder die neue Kultur ist, desto mehr.
      Wir wünschen auch dir alles Liebe & Gute
      Yvonne

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