Es ist ja schon in Deutschland ein Graus, wenn das eigene Kind krank ist. Doch in Tansania kann man bloß jedem wünschen, gesund zu bleiben.
Wir machten unsere erste Erfahrung mit einer tansanischen Kinderärztin, als wir die ersten drei Kinder ins Bassari Kinderheim aufnahmen. Die Richtlinien für Kinderheime sehen vor, dass jedes Kind bei Aufnahme gründlich durchgecheckt wird, sodass man sich allfälligen Krankheiten oder Allergien annehmen kann. Eine seriöse Sache, dachten wir. Zusammen mit dem umfassenden Fragebogen brachten wir die Kinder ins Distriktkrankenhaus. Das dreiseitige Formular war relativ schnell abgearbeitet. Die Ärztin saß auf der einen Seite des Tischs, die drei Kinder auf der anderen. Mit nur einem schrägen Blick konnte Frau Doktorin erkennen, dass alle drei weder an Tuberkulose, Epilepsie, einer Sehschwäche oder einer psychischen Erkrankungen litten. Alle schwerwiegenden Erkrankungen konnten innert Sekunden ausgeschlossen werden.
Das einzige, was sie tatsächlich testeten, waren Urin- und Stuhlproben sowie ihr HIV Status. Zuhause sahen wir dann erst, dass sie mit ihrer Sauklaue (das ist wohl ein universelles Laster von Medizinern) zuhinterst auf dem Bericht irgendwelche Empfehlungen gekritzelt hatte. Es stellte sich heraus, dass es sich um Entwurmungstabletten handelte. Anscheinend wird hier geraten, die Kinder alle drei Monate zu entwurmen. Wir fragten in der Apotheke nochmals nach, um sicher zu gehen. Denn bisher kannten wir dieses Prozedere nur für Haustiere. Doch anscheinend ist das hier tatsächlich gang und gäbe. Wieder was dazu gelernt.
Es dauerte nicht lange und wir hatten unseren ersten Patienten im Bassari Haus. Es erwischte den Jüngsten, Jovin. Er hatte sich eine Magendarminfektion aufgeschnappt und hing völlig in den Seilen. Wir erinnerten uns an unsere eigene Kindheit und taten es als eine harmlose Magenverstimmung ab, die dann schon wieder abklingen würde. Trotzdem gingen wir zur Krankenstation im Dorf und ließen uns Elektrolyte mitgeben. Am zweiten Tag kamen dann erste Gedanken an Tropenerkrankungen auf. Fängt Malaria nicht auch mit solch unspezifischen, grippeähnlichen Symptomen an? Dann färbten sich seine Skleren (das Weiße der Augen) gelblich. Bei der Krankenschwester Yvonne klingelten die Alarmglocken. Sklerenikterus = schwerwiegende Lebererkrankung!! Ins Distriktkrankenhaus wollten wir nicht zurückgehen. Denn der Ärztin, die ihre Diagnosen über die Tischplatte hinweg stellt, vertrauten wir nicht. Also wieder in die Krankenstation im Dorf. Jene haben zwar nicht die gleiche Ausstattung wie im Distriktkrankenhaus, doch sie waren beim letzten Besuch sehr bemüht und zuvorkommend.
Die staatlichen Krankenstationen in den Dörfern sind meist ähnlich ausgestattet. Sie haben Schnelltests für Malaria und HIV, können unter dem Mikroskop Urin und Stuhl untersuchen, im Blut den Hb Wert bestimmen und haben die geläufigsten Medikamente in Großpackungen zur Hand. Dazu zählen Paracetamol, Antibiotika und noch mehr Antibiotika. Ist unklar, woran der Patient leidet, (was aufgrund fehlenden diagnostischen Möglichkeiten häufig vorkommt) wird ihm in sorgfältig gefalteten Papiertütchen Antibiotika Tabletten für fünf bis sieben Tage mitgegeben. Antibiotika als Allerheilmittel. Yvonne als globuliangehauchte Alternativkrankenschwester stehen jedes Mal die Haare zu Berge, wenn sie das mitbekommt.

Wir berichteten also der Dorfkrankenschwester über Jovins Übelkeit und dessen gelben Skleren, die uns nun doch beunruhigten. Noch während wir die Worte aussprachen, bemerkten wir, dass die Nurse genauso gelbe Augen hatte wie Jovin, wenn nicht noch gelber! Zumindest testeten sie ihn auf Malaria und bestimmten seinen Hb Wert (mehr hätten sie sowieso nicht tun können). Beide Tests waren unauffällig.
Wir gingen mit Jovin wieder nach Hause, päppelten ihn und flossen ihm Flüssigkeit ein. Ihm ging es etwas besser, doch die Ungewissheit ließ uns nicht ganz los. Was, wenn seine Leber doch angeschlagen ist? Irgendwoher müssen die gelben Augen ja kommen. Wir entschieden uns, doch nochmal unsere „Freundin“ im Distriktkrankenhaus zu besuchen mit der Hoffnung, dass sie uns mehr sagen könnte. Von Weitem schaute sie sich die Skleren an und ihr Blick verriet, dass sie unsere Sorgen nicht teilte. Wir ließen jedoch nicht locker und so ließ sie sich überreden, wenigstens die Leberwerte im Blut zu testen. Das bedeutete, dass sie uns eine Überweisung schrieb mit der wir ein Haus weiter ins Labor zum Blutabnehmen gingen. Vor dem Eingang saßen dutzende Menschen und warteten darauf, endlich aufgerufen zu werden. Wir stellten uns dumm und unwissend und marschierten zusammen mit unserer Sozialarbeiterin Harieth schnurstracks ins Labor hinein. Wer täte das nicht, mit einem kranken Kind im Arm?! Das Blut wurde abgenommen. Am nächsten Tag sollten wir wiederkommen und die Resultate abholen. Jovin müssten wir dazu nicht wieder mitbringen.
Die Resultate waren zum Glück alle unauffällig. Die Kinderärztin hatte dann jedoch die glorreiche Idee, einen Ultraschall des Bauches durchzuführen, um Weiteres auszuschließen. Nur war jetzt Jovin nicht mit dabei. Wir kamen an einem anderen Tag für den Ultraschall zurück und der Arzt stellte auch hier nichts fest. Was jedoch nichts heißen mag. Harieth erzählte uns, dass eine ihrer Freundinnen hier vor einiger Zeit einen Ultraschall machen ließ. Die Ärzte sahen nichts und meinten, sie sei weder schwanger noch gäbe es sonstige Auffälligkeiten. Die Beschwerden hielten an und sie ging in einer weitere Klink. Da entdeckten sie eine ektopen Schwangerschaft… Ein Ultrashallgerät alleine bringt leider noch nicht viel – es braucht Fachpersonal dazu, das es zu bedienen weiß.

Zum Glück ging es bei Jovin nach ein paar Tagen wieder bergauf und er fand seinen Appetit zurück. Wahrscheinlich war es doch nur eine banale Magendarminfektion, wie sie alle Kinder mal haben. Klare Antworten haben wir von den Ärzten bis zum Schluss nicht bekommen. Woher die gelben Skleren kamen und warum soviele Tansanier an einem Sklerenikterus leiden, ist uns bis heute ein Rätsel.
Wir haben unsere Lehre aus der ganzen Geschichte gezogen und für unsere Schützlinge für je 23 € eine Krankenversicherung abgeschlossen. Diese erlaubt uns, zukünftig auch private Krankenhäuser aufzusuchen, in denen vielleicht etwas sorgfältiger untersucht wird. Dazu schätzen wir unsere deutschen Ärzte und ihre Kompetenz wieder mehr. Klar, passieren auch ihnen Fehler und wir hinterfragen ihre Äußerungen kritisch, doch im Notfall können wir ihnen vertrauen. Ein echter Luxus.
