Gestern klopfte es an unserem Tor. Ein alter Mann stand davor. Wir kannten ihn vom Sehen, er muss irgendwo in der Nähe wohnen. Sein Kind sei krank, ob wir es morgen ins Krankenhaus bringen könnten. Keine Frage für uns, wir sagten zu, ohne nach weiteren Details zu fragen. Am nächsten Tag, kurz vor der vereinbarten Zeit, warteten wir auf den Patienten. Uns war etwas mulmig zumute. Wie krank war wohl dieses Kind?
Das letzte Mal als wir ein Kind ins Krankenhaus gefahren hatten, litt es an einem komplizierten Beinbruch. Die Eltern hatten kein Geld und waren völlig überfordert mit der Situation. Das Kind blieb über Monate mit dem gebrochenen Bein Zuhause ohne Behandlung. Es konnte nicht mehr laufen, nicht zur Schule gehen und auch nicht mit anderen Kindern spielen. Eine tragische Geschichte. Doch zum Glück hat alles ein gutes Ende genommen. Den Jungen sahen wir vor wenigen Wochen wieder. Der Bruch ist gut verheilt, er rennt mit seinen Freunden wieder durch die Straßen.

Dann kamen sie. Ein Mann trug die Patientin wie eine Bohnenstange senkrecht auf uns zu. Es handelte sich um eine großgewachsene Frau, ca. 1,70m groß. Kein Kind also. Doch ihr Gewicht schätzten wir auf den ersten Blick auf nicht viel mehr als das eines Schulkindes. Ihre Unterschenkel, die unter dem Kanga rausschauten, waren so dünn, wie es Unterarme normalerweise sind. Ihr Gesicht war knochig und der Blick leer. Sie war gezeichnet von Krankheit und Schwäche. Sie versuchte zu hüsteln, doch sogar dies schien sie zu sehr anzustrengen. Gemeinsam hievten wir sie ins Auto. Jede noch so kleine Bewegung schien ihr Schmerzen zu bereiten und sie wirkte so zerbrechlich, als ob sie jederzeit wie eine Glasschale zerspringen könnte. Eine ältere Dame begleitete sie ins Krankenhaus und stützte während der Fahrt, sodass sie nicht vom Sitz kippte. Sie kannte unsere Namen, wir wussten jedoch nicht, wo wir sie einordnen sollten.
Die vier Kilometer auf der Schotterpiste bis zur asphaltierten Hauptstraße kamen uns ewig vor. Der viele Regen der vergangenen Wochen hat sie ganz schön ausgeschwemmt und viele tiefe Rinnen und Löcher hinterlassen. Peter konnte noch so vorsichtig fahren, das Holpern ließ sich nicht vermeiden. Wir fragten bei der Patientin nach, ob es einigermaßen ginge. Ja, kein Problem, kam als Antwort. Sie war überaus dankbar für den Transport. Was wäre denn die Alternative für sie gewesen? Ein Pikipiki (Motorrad) zu nehmen und sich nachher an der Hauptstraße in ein Dalladalla (Minibus) zu quetschen? Unvorstellbar. Wir erinnern uns an einen „Krankenwagen“, den wir mal in Karatu gesehen hatten. Ein umgebauter Seitenwagen, der Frauen mit Wehen über Stock und Stein zum Gebären in die Klinik bringt.

Nach knapp einer halben Stunde erreichten wir das Krankenhaus. Zwei Klinikgärtner hoben sie aus dem Auto heraus in einen Rollstuhl. Sie hätte sich nicht auf den Beinen halten können. Der eine Fuß landete nicht auf dem Trittbrett, doch sie war zu schwach, das Bein anzuheben. Es musste ihr dabei geholfen werden.
Der Arzt oder Pfleger nahm sie in Empfang und schob sie Richtung Behandlungszimmer. Doch wann sie tatsächlich behandelt wurde, wissen wir nicht. Lange Wartezeiten sind keine Ungewöhnlichkeiten, auch wenn der Patient in noch so schwachem Zustand ist. Vielleicht hat es etwas geholfen, dass wir „Weißen“ dabei waren. Manchmal, aber nur manchmal, geht es dann etwas zügiger voran.
Wir fuhren schweigend nach Hause. Unsere Gedanken waren noch immer bei der Frau mit dem kantigen und hageren Gesicht. Wie wir sie ins Fahrzeug hoben, leichter als ein Sack Zement (50 kg). Wir waren nachdenklich und dankbar wie selten zuvor, gesund zu sein und für den Fall der Fälle eine Krankenversicherung zu haben.
für uns hier in Europa sowieso undenkbar und unvorstellbar,
wie es in armen Ländern zugeht.
Für euch sind das Erfahrungen fürs Leben,
weiter so und viel Freude
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